Von Bregenz nach Innsbruck
Freitag, 18. September 2020 – Etappe 4: Bad Hindelang - Rieden bei Weissenbach am Lech (38 km)
Heute stand die Königsetappe an. Doch so richtig wusste ich dies zum Zeitpunkt als ich den Gasthof Im Wiesengrund verliess noch nicht. Vom Frühstücksbuffet gestärkt, lief ich schnellen Schrittes der Ostrach entlang in das touristisch bekannte Ostrachtal.
Der Tag war jung, die Luft frisch und entsprechend noch wenige Leute unterwegs. Dem gut ausgebauten Wanderweg folgte ich bis Hinterstein. Unterwegs drangen langsam die Sonnenstrahlen bis ins Tal hinunter und ich erlebte einen grossartigen Start in einen sonnigen Herbsttag.
Als ich etwa um 09:00 Uhr den grossen Wanderparkplatz in Hinterstein passierte, war dieser bereits vollständig besetzt. Hier ging es zweifelsohne touristisch zu und her. Auf der Wanderautobahn in Richtung Gibelhaus waren entsprechend viele Leute unterwegs.
Aber dies störte mich nicht weiter. Denn meine Route führte von der Auelesbrücke weg, steil hinauf zum Schrecksee, wo bestimmt weniger Wanderer unterwegs sein würden. Doch ich hatte mich geirrt. Gerade als ich die letzte Kurve zur Abzweigung des Bergwanderweges einschlug, fuhr ein Wanderbus herbei und etwa ein Dutzend Wanderer stiegen aus. Bewaffnet mit Rucksäcken und Wanderstöcken hatten sie wohl das gleiche Ziel wie ich.
Ich liess sie ziehen und machte erst mal eine erste Pause. Hatte ich doch schon 6 Kilometer hinter mir. Nach einem Snickers und einem Schluck Wasser, nahm ich die Verfolgung auf. Für solche steilen Bergwege war ich bestens trainiert. War ich doch die letzte Woche auf dem Eiger und kletterte über den Mittellegigrat. Entsprechend kam ich optimal voran und schon bald überholte ich einen nach dem anderen der Wandergenossen.
Hat man die erste, sehr steile Passage hinter sich, ist der weitere Weg zum Schreckensee wunderschön. Der Panoramablick in das Ostrachtal und noch viel weiter, begleitet einen auf der ganzen Strecke. Erst kurz vor dem Schreckensee ändert sich er Blickwinkel. Denn von nun an ist es das in den unterschiedlichsten Blautönen schimmernde Wasser des Sees, welches die Blicke magisch auf sich zieht. Die Landschaft mit dem See ist so wunderschön, dass man einfach hinschauen muss.
Hier gönnte ich mir eine Pause: Die Füsse im Wasser runterkühlen, eine Stärkung aus der Lunchbox und ja – Sonnencreme einstreichen! Es war der perfekte Wandertag mit angenehmen Temperaturen.
Allein ist man hier vermutlich selten unterwegs. Auch auf meiner Fortsetzung rauf zum Kastenjoch (1'875m) und weiter zur Steinkarspitze (2'067m) traf ich immer wieder auf Wanderer. Erst als ich beim Seinkarjoch in Richtung Leilachspitze abbog, war auf weiter Flur niemand mehr zu sehen. Die meisten Wanderer steigen ab zur Landsberger Hütte und dann weiter ins Tal.
Vermutlich liegt dies auch daran, dass der Bergwanderweg zur Leilachspitze nur für geübte freigegeben ist. Es soll sogar Kletterstellen geben, wie auf Warntafeln beschrieben ist. Also eine willkommene Abwechslung.
Beim Blick hinunter zur Landsberger Hütte lief es mir kalt den Rücken runter. Das ist ja schon ein luxuriöses Berghotel. Die ganze Terrasse war mit Sonnenschirmen tapeziert und es herrschte ein grosses Menschengetümmel. Braucht es solche Touristenorte in den Bergen? Da war ich doch lieber alleine unterwegs!
In der Tat wurde der Bergweg immer anspruchsvoller, ausgesetzter und alpiner. Der letzte Anstieg zur Leilachspitze war nur was für erfahrene Alpinisten. Das Gelände war nun T4 und die Kletterstellen reichten bis zum dritten Schwierigkeitsgrad, ehe man das schöne Gipfelkreuz auf 2'274m erreicht. Für mich kein Problem; trotzdem war ich ein wenig überrascht von dieser unerwartet schroffen Bergwelt.
Den ebenfalls steilen und anspruchsvollen Abstieg ging ich ganz langsam an. Ich war schon beinahe 10 Stunden unterwegs und wusste, dass ich mich nun nochmals voll konzentrieren musste. Das stabile, sonnige Herbstwetter war eine willkommene Unterstützung. In moralischer sowie auch in sicherheitsrelevanter Weise.
Als ich den steilen Pfad hinunter zur Weissenbacher Notländer Kar hinter mich brachte, war das "Schlimmste" hinter mir. Doch vor mir befanden sich noch 10 Kilometer Fussmarsch und 1'000 Höhenmeter Abstieg bis Weissenbach am Lech.
Daher entschied ich mich erneut eine längere Pause einzulegen, die Sonne zu geniessen und ein Nickerchen zu machen. Danach ging ich flott den Abstieg durch den Brunnwald bis Weissenbach an, dessen Name die Lech mit ihrem weissen Flussbett der Stadt gab.
Mein heutiges Domizil lag ein wenig ausserhalb von Weissenbach in der Gemeinde Rieden. Dort kam ich im urchigen Gasthof Kreuz unter. Zur Überraschung wurde mir die "Hochzeits-Suite" zugewiesen. Ich hatte das grosse Zimmer für mich allein.
Noch besser als das Zimmer war das Essen im Kreuz. Zwar musste ich erst auf einen Sitzplatz im Restaurant aufgrund der Corona-Tischabstandsregeln warten, doch schliesslich konnte ich meinen grossen Hunger vollumfänglich stillen. Was war das doch heute für eine grossartige Wanderetappe durch die Allgäuer Alpen: Rund 38 Kilometer mit geschätzten 2'500 Höhenmetern in grandioser Berglandschaft!