Von Wien nach Budapest
Donnerstag, 27.06.2024 Etappe 9: Dobogókö – Budapest Kettenbrücke, 40.5 km
Als ich um 02:00 Uhr nachts aufwachte, um auf die Toilette zu gehen und ich mich dabei im Spiegel erblickte, erschrak ich: mein rechtes Auge war zugeschwollen. Ungläubig starte ich in den Spiegel. Was ist passiert? Als ich ins Bett ging sah mein Gesicht noch völlig normal aus. Eventuell hatte dies der Bienenstich verursacht, den ich oberhalb des rechten Auges abbekommen hatte. Doch dies war vor zwei Tagen.
Irritiert und mit Angst, das Auge könnte bis am Morgen ganz zugeschwollen sein, legte ich mich wieder ins Bett. Ich war so schlaftrunken und müde, dass ich gar nicht wusste was ich machen sollte. Doch guten Schlaf fand ich nicht mehr. Als der Wecker um 06:30 Uhr klingelte sah das Auge glücklicherweise nicht schlimmer aus. Aber ich hatte noch immer nur ein beschränktes Blickfeld. Ich konnte mir keinen Reim über dieses Phänomen machen; es musste etwas mit dem Bienenstich zu tun haben.
Als ich nach einem kleinen Frühstück losmarschierte, war die Wegfindung abermals schwierig. Ich stampfte durch ein Flussbett, um möglichst ohne Umweg den Hauptwanderweg zu finden, dem ich folgen wollte. Es würde heute nicht bei diesem einen Ausflug durchs Dickicht bleiben.
Die 600 Höhenmeter, die ich gestern raufgewackelt war, durfte ich nun heute wieder runtermarschieren. Genau genommen waren es noch ein bisschen mehr, da Budapest an der Donau am tiefsten Punk lag. Als ich mich endlich auf dem richtigen Weg befand, folgte ich dem traumhaften Wanderpfad bis Pilisszentkereszt. Der Weg verlief entlang einem Flüsschen, das sich im Verlauf der Jahrhunderte tief in die Landschaft gegraben hatte. Die Umgebung war wild und es kamen Erinnerungen an das Kaltbrunnental auf, welches auch so abgelegen, zerklüftet und märchenhaft daherkommt.
Vor mir wanderte zu meinem Erstaunen eine Schulklasse, die ich schon von weitem hörte. Hatte ich doch die letzten acht Tage keine anderen Wanderer getroffen, so war es heute gleich eine Horde von Schülerinnen und Schülern. Das Schlusslicht der Gruppe bildeten zwei Teenager. Sie rechneten – so wie auch ich – nicht damit, dass noch andere Wanderer unterwegs waren. Als ich näherkam und entdeckt wurde, schiesst die eine der beiden Frauen einen lauten Schrei aus und sprang vom Weg zur Seite. Ihre Freundin erschrak durch den Schrei ebenfalls und sprang auf die andere Seite. Dann ging das Gelächter los und wir konnten vor Aufregung kaum miteinander sprechen. Ich lächelte freundlich und passierte, da ich kein Wort verstand.
Der weitere Verlauf des Weges sowie die Landschaft bis zur Ortschaft Csobánka war wunderschön. Alles dem Flüsschen folgend, musste ich immer wieder über kleine Holzbrücken die Seite wechseln. In Csobánka angekommen, gönnte ich mir kühle Getränke und eine Rast auf der Bank in der Parkanlage.
Beim erneuten Losmarschieren folgte das nächste grosse Wegfindungsproblem. Dieses Mal erwies sich die Erklärung einfach: es gab den Weg, der auf den Karten eingezeichnet war, einfach nicht! Doch ich wollte nicht die gegangenen Kilometer zurückwandern und versuchte mich irgendwie durch die noch fehlenden 500 Meter bis zur nächsten Strasse durchs Dickicht zu schlagen. Doch bei einem Brombeervorhang der sich bis zum Horizont wie ein Zaun vor mich auftürmte war schliesslich Schluss.
Mit aufgekratzten Beinen suchte ich einen anderen nahegelegenen Pfad, den es zwar gab, der jedoch nicht gemäht war. Die Brennnesseln und Stachelsträucher liessen nur ein langsames Vorwärtskommen zu und ich bemühte mich, das Brennen und Beissen auf meiner Haut zu ignorieren.
Wieder auf dem richtigen Pfad, wanderte ich schliesslich mehrere Kilometer durch kühle Eichenwälder. War es gestern über grosse Strecken die Buche, die mich begleitete, so war es heute die Eiche. Ich hatte Rhythmus gefunden und kam gut voran. Am Bahnhof von Solymár kaufte ich die letzte Cola. Die Vorräte müssten nun bis ans Ziel reichen.
Es folgte der letzte, lange Abschnitt durch Wälder und teilweise steile Hügel. Dieser “grüne Streifen” nahe der Stadt war nochmals wunderschön zum Gehen. Ich fand es erstaunlich, auf wie wenig Teer- oder Betonstrassen ich bei dieser letzten Etappe gehen musste. Klar, als ich schliesslich das Ufer der Donau erreichte, war fertig damit. Die letzten Kilometer waren wie immer hart.
Das Ziel dieser Wanderung war die Kettenbrücke, eines der markantesten Wahrzeichen von Budapest. Die Kettenbrücke, oder “Széchenyi Lánchíd”, verbindet die beiden Stadtteile Buda und Pest über die Donau. Sie ist nicht nur ein Symbol der Vereinigung der Stadt, sondern auch ein Meisterwerk der Ingenieurskunst und ein beliebtes Ziel für Touristen aus aller Welt.
Gegen 18:00 Uhr war schliesslich die historische Brücke um einen Touristen reicher. Ich hatte es geschafft; alle neun Etappen mit gesamthaft 330 Kilometern waren hinter mich gebracht, was eine Komplettstrecke von Basel nach Budapest mit 1’362 Wanderkilometern ergab.
Ich genoss kurz meinen Erfolg am Donauufer mit Blick auf die florierende Stadt und das touristische Treiben; beschloss dann jedoch das Sightseeing auf den morgigen Tag zu verschieben und mein Hotel aufzusuchen, um mir eine ersehnte kühle Dusche zu gönnen.
Im “The Pointer Pub & Restaurant” trank ich mit einem Pint Guinness auf meinen Erfolg. Dazu gab es einen saftigen Cheeseburger. Als ich mich danach ins Hotel aufmachte, humpelte ich dahin. Meine Füsse schmerzten und einige Blasen hatten sich wieder mit Flüssigkeit gefüllt. Es war Zeit, dass ich am Ziel angekommen bin.