Von Wien nach Budapest
Dienstag, 25.06.2024 Etappe 7: Strekov – Esztergom (Gran), 40 Km
Wenn ich im Nachhinein an die Etappenstrecke von Wien nach Budapest zurückdenke, stelle ich fest, dass es jeden Tag etwas Unerwartetes, eine Herausforderung oder ein Abenteuer zu erleben gab. Dies sollte auch heute nicht anders sein.
Ich verliess das eingezäunte Gelände der Weinerei. Der Weg führte mich vom automatisch betriebenen Zutrittstor direkt in die Weinberge. Nun ja, das Wort Berg darf man dabei nicht so wörtlich nehmen. Es war eher eine hügelartige Erhebung. Doch nach sechs Tagen absoluter Flachheit eine willkommene Abwechslung.
Ich spürte beim Hinaufgehen eine Winkeländerung im Körper, die ich in vermisst hatte. Es tat gut mal eine andere Körperhaltung einzunehmen. Die Sonne schoss bereits ungebremst durch den wolkenlosen Himmel und kündigte erneut einen heissen Tag an. Die noch angenehme, kühle Luft, die ich einatmete, würde ich bald vermissen.
Bereits auf den ersten Kilometern konnte ich nicht der geplanten Route folgen. Die Wege waren mannshoch überwuchert oder noch nicht gemäht. Die gestrige Erfahrung durch den Dschungel hatte mir gereicht. Ich suchte nach alternativen Wegen die einfacher zu Gehen waren, auch wenn dies zusätzliche Wanderkilometer bedeutete.
In Svodín kaufte ich mir Frühstück sowie Verpflegung ein. Als ich mich auf der Treppe der Kirche im Ort niederliess, um eine Pause zu machen und zu Frühstücken, erklang aus klirrenden Lautsprechern des Kirchengebäudes eine nicht mehr enden wollende Stimme. In einer ohrenbetäubenden Lautstärke verkündete die Sprecherin Duzende von Namen – ich vermute von Verstorbenen Menschen der Gemeinde – die mit einem dumpfen Hall in die Gegend herausposaunt wurden.
Wäre mein kühler und schattiger Platz nicht so angenehm gewesen, wäre ich sofort weitergezogen. Doch vor mir lag eine weite Strecke entlang von Feldern, wo ich erwartungsgemäss keinen idealen Platz für eine Rast finden würde.
Die Strecke zur Ortschaft Belá war lange, verzückte jedoch durch die Schönheit der weiten Kornfelder. Für ein letztes Mal auf dieser Reise durchlief ich kilometerlange, riesige Kornfelder, die bis zum Horizont reichten. Ein tolles Erlebnis!
Ein Ereignis der anderen Art erlebte ich unterwegs, als ich meinen Weg wieder einmal durch schulterhohe Grässer bahnen musste. Eine Biene flog mir unter die Sonnenbrille und geriet in Panik, als ich hastig die Sonnenbrille abziehen wollte. Sie stach mir oberhalb des rechten Auges in die Stirn. Sofort spürte ich wie das Gift in meinen Körper floss. Ich begab mich hastig unter ein Gebüsch, um ein wenig Schatten zu erlangen und fotografierte dann mein Gesicht. Der Stachel stecke noch in der Haut, obwohl ich ihn mit den Fingern nicht ertasten konnte.
Mit Hilfe der Handykamera fand ich schliesslich den Einstich und konnte die Stachelreste entfernen. Der Schmerz im Kopf setzte ein und mein Auge begann zu tränen. Dann zog ich schnell die Erste-Hilfe-Tasche aus meinem Rucksack und behandelte die Stelle mit einem Fenistilstift. Es dauerte glücklicherweise nicht lange, bis der Schmerz nachliess.
In der Ortschaft Bella füllte ich nochmals meinen Trinkvorrat auf. Im Kühlschrank gab es jedoch nur Bier und Radler. Doch da war auch ein Radler ohne Alkohol mit dabei; ein Erdbeerradler. So etwas Exotisches hatte ich noch nie probiert, doch mit meinem momentanen Durst war mir alles recht. Wer wagt, gewinnt. So war es auch bei meinem Experiment: es hat hervorragend geschmeckt!
Ich schritt nun schneller voran in Richtung Štúrovo, der slowakische Verbindungsort zu Ungarn auf der nördlichen Seite der Donau. Dabei hatte ich jedoch abermals die Situation, dass die Feldwege, welche auf der Karte eingezeichnet waren, nicht existierten oder zugewachsen waren. Ich sagte zu mir selbst, dass die Jahreszeit für so ein Unterfangen nicht optimal ist. Im Herbst, wenn alle Felder abgeerntet und geschnitten sind, wäre ein Vorwärtskommen um ein Vielfaches einfacher.
Einen erneuten Umweg nahm ich nicht in Kauf. Als ich vor dem nächsten Gerstenfeld anstand, folgte ich der Traktorspur, dessen Räder eine enge, etwa 50 cm breite Schneise durch das Kornfeld gezeichnet hatten. Im Eilschritt begann ich über das Feld zu laufen. Nach einer Weile erkannte ich dessen Ende, gekennzeichnet durch einen grünen Waldrand, wo sich auch eine Strasse befand und doch tatsächlich ein Auto vorbeifuhr.
Anscheinend wurde ich im Feld entdeckt, denn der Wagen hielt inne und drehte die Wagenfront in meine Richtung. Mit einem unguten Gefühl beobachtete ich die gelben Scheinwerfer des Fahrzeugs, welche mich wie zwei grosse Augen aus der Ferne beobachteten. Schliesslich fuhr das Fahrzeug sogar in meine Richtung los über das am Ende bereits geschnittene Kornfeld.
Oh je, nun haben sie mich erwischt. Dachte ich, als ich bei gleichbleibendem Tempo zielgerichtet der einsamen Spur im Feld folgte. Wie würde der Bauer reagieren? War es überhaupt ein Bauer oder vielleicht ein Jäger oder Wildhüter? Vordergründig unbeeindruckt schritt ich aus dem schulterhohen Kornfeld in den Teil des Feldes hervor, welcher bereits gemäht war. Der Wagen tuckerte immer noch über das Feld in meine Richtung.
Als wir uns auf derselben Höhe kreuzten, schaute ein freundlich wirkender Slowake aus dem Wagen und wir begrüssten uns flüchtig, ohne dass einer von uns das Tempo senkte. Meiner Interpretation nach war er einfach neugierig, wer hier entlang ging, die Beweggründe waren dem Mann vermutlich egal.
Dies war ein gutes Beispiel, dass man in dieser Region als Wanderer viel Freiheiten ohne Verbote hat, was dem zu Grunde liegt, dass praktisch keine Wanderer unterwegs sind. Diejenigen Nomaden, welche hier vorbeiziehen, sind sehr selten und stören deshalb nicht, auch wenn mal ein Feld durchschritten wird. Schliesslich machen es die Rehe und Wildschweine genauso. Den Ausdruck "Dichtestress" kennt man hier nicht.
Gegen den späteren Nachmittag traf ich in Štúrovo ein. Die Stadt machte einen modernen, gepflegten Eindruck auf mich; zumindest in der Innenstadtzone, durch welche ich im Eiltempo in Richtung Grenzbrückenübergang nach Esztergom folgte. Die Maria-Valeria-Brücke über die Donau verbindet die ungarische Stadt Esztergom mit der slowakischen Stadt Štúrovo. Sie ist nach der Prinzessin Marie Valerie von Ungarn benannt, die jüngste Tochter des österreichisch-ungarischen Herrscherpaars Franz Joseph I. und Elisabeth.
Von der Brücke hatte ich einen grossartigen Blick auf die grösste Basilika Ungarns, welche mit ihrer gewaltigen grünen Kuppel das historische Städtchen Esztergom überragt. Nebendran, ebenfalls auffallend, die geschichtsträchtige Burg von Esztergom.
Als ich Fuss auf das ungarische Land setzte, konnte ich es mir trotz der gewanderten, langen Strecke nicht nehmen, dem historischen Städtchen am Donauknie einen Besuch abzustatten. Ich stieg hoch zur Basilika von Esztergom, welche liebevoll auch "Die Kathedrale unserer Lieben Frau und des heiligen Adalbert" genannt wird und das römisch-katholische Erzbistum Esztergom-Budapest darstellt.
Die Aussicht von den Toren der Kathedralkirche auf die Donau und die umliegende Umgebung war traumhaft. Nach einigem Herumschlendern hob ich bei einem Bankomaten ein wenig ungarisches Geld ab (ja, Ungarn hat eine eigne Währung und keinen Euro), kaufte die Verpflegung für die morgige Wanderetappe ein und begab mich schliesslich zu meiner Unterkunft "Mediterraneo Luxury Room Esztergom", wo ich mir ein Zimmer reserviert hatte.
Das Hotel war exklusiv und hatte sogar ein eigenes, richtig gutes Restaurant. Endlich konnte ich mir, nachdem ich mich die letzten Tage nur von Sandwiches oder Pizzas ernährte, wieder etwas Anständiges gönnen. Beim Planen der morgigen Route wurde mir etwas wehmütig bewusst, dass ich die weiten Kornfelder beim Überschreiten der Donau hinter mir gelassen hatte. Das Terrain verlief fortan hügeliger und der Verlauf des Weges wird oft im Wald erfolgen. Ich war gespannt, was mich in den letzten zwei Tagen bis Budapest erwarten würde.