Nordspanien: Baskenland, Kantabrien, Asturien und Galizien
Santiago de Compostela
Donnerstag, 04. Oktober 2018
Obwohl Finisterre den Ort des Ankommens symbolisiert, ging unsere Nordspanienrundfahrt heute schon weiter. Gerne wäre ich noch einen weiteren Tag hiergeblieben, doch es gab in Galizien noch so viel zu entdecken.
Vom 4. Stock unseres Hotelzimmers Mar de Fisterra, konnten wir einen phantastischen Sonnenaufgang mitansehen. Schon seltsam, dass hier am Ende der Welt die Sonnenauf- und -untergänge über dem Meer schöner aussehen als anderswo. Liegt dem Ort eventuell doch etwas mystisches zu Grunde?
Das "Fin de la Tierra" spiegelte sich in verschiedenen Epochen, Religionen und Kulturen wieder, die hier Kultorte errichteten und die besondere Lage des Kaps Finisterre als Ende der Welt noch mit Legenden unterstrichen. Auch die Römer, die das Vorgebirge, dessen Ende das Kap darstellt, Promontorium Nerium nannten, errichteten einen Altar, den Ara Solis, dieser war der Sonne gewidmet. Auch ein Altar der Phönizier soll es gegeben haben, beide sollen durch den Apostel Santiago zerstört worden sein.
Die katholische Kirche hat den letzten Teil des Jakobswegs hierher nie offiziell anerkannt. Zu heidnisch scheint ihr dieser Ort, zu weit weg von der strengen Doktrin des Papstes, wonach jede Pilgerschaft am Apostelgrab in Compostela zu enden hat. Der Gedanke an die Ewigkeit, so predigte sie, müsse Richtung Himmel führen und nicht hinaus aufs offene Meer, ins "mare tenebrosum" mit seinen Geschichten von Geistern und Monstern, von versunkenen Städten und dem möglichen Paradies.
Doch der Camino de Santiago ist älter als der Katholizismus. Quellen sprechen von einem keltischen Weg, der entlang der Sterne gezogen ist und in der Gegend von Finisterre endet. Viele Galizier reden immer noch von der Milchstrasse, wenn sie den Camino de Santiago meinen. Das Erbe der Kelten ist lebendig in den Märchen und Liedern von Hexen und Zauberern, von beseelten Felsen und Bäumen und in den ungehobelten Melodien der Dudelsäcke, der "gaitas".
Die Landstrasse N-550 brachte uns entlang der Küste zum Punta Louro, ein kleiner zweigipfliger Berg der einen Ausläufer ins Meer kurz vor der Ortschaft Muro markiert. Hier schauten wir uns kurz den Leuchtturm an und parkten wenig später das Auto entlang der schmalen Strasse oberhalb von Punta do Sinal.
Unser Ziel war eine Wanderung auf die beiden Gipfel Louro (223m) und Pico da Garita (239m). Zwar sind diese beiden Hügel keine Riesen, doch leicht zu bezwingen seien sie doch nicht, wie man aus dem Wanderführer entnehmen konnte. Kraxelgeschick und Gelenkigkeit seien gefordert. Dafür würde man mit wunderbaren Blicken auf die Bucht von Muros, einer naturgeschützten Lagune und die Landenge unterhalb der Halbinsel belohnt werden.
Bereits beim Start der Wanderung konnten wir uns an dem kristallklaren, türkisblauen Wasser nicht sattsehen. Die grünen Nadeln der Föhren gaben den passenden Kontrast dazu. Mit dem weiteren Hochsteigen kamen originelle und mysteriöse Gesteinsformationen hinzu. Auch diese stellten originelle Fotomotive dar.
Den Kindern und uns gefiel es hier sehr. Immer wieder galt es über Felsen zu kraxeln oder grosse Steinplatten zu überqueren. Der Pfad war gut sichtbar, auch wenn ab und zu Brombeerstauden den Weg versperrten und wir uns vorsichtig einen Weg bahnen mussten. Einzelne Kratzer konnten dabei nicht vermieden werden.
Zurück vom Bergsteigen, holten wir uns erst einmal ein paar frisch zubereitete Sandwiches in einer Bar. Dann liessen wir uns am wunderschönen Sandstrand von Rocha nieder und genossen Sonne und Meer.
Die Fahrt nach Santiago de Compostela dauerte nur eine knappe Stunde. Maria, die Vermieterin des Red Appartements, visierten wir von unterwegs aus über unsere Ankunft an. Wir hatten Glück und fanden gleich direkt vor dem Hauseingang einen öffentlichen Parkplatz! Die Wahrscheinlichkeit eine Abstellmöglichkeit im innersten Zentrum dieser Stadt zu finden geht nahezu null. So konnten wir uns nicht nur das kostspielige Parkhaus, sondern auch das herumschleppen unserer vielen Gepäckstücke sparen.
Das Appartement war im ersten Stock, hatte zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit Schlafcouch, Küche und Bad. Gross genug für uns alle und eigentlich auch für Nany, welche wir ursprünglich in Santiago treffen wollten. Doch wie so oft kommt es anders und wir würden sie erst in zwei Tagen in Lugo treffen.
Unsere Unterkunft konnte zentraler nicht liegen. Die bekannte und sagenumwobene Kathedrale Santiagos konnten wir aus dem Fenster sehen und auch die Fussgängerzone begann um die nächste Strassenecke.
Bis wir alle geduscht und angezogen waren, leuchteten in den Gassen bereits die Strassenlaternen. Im Restaurant Carretas fanden wir draussen in der Fussgängerzone einen schönen Tisch und genossen ein herrliches Abendessen bestehend aus Pulpo, Jakobsmuscheln, Steak und Entrecôte.
Nach der Flasche Rioja torkelten wir hoch zum grossen Kathedralen-Vorplatz Praza do Obradoiro und schauten uns die historischen Bauten bei Nacht an. Die von der Beleuchtung beschienenen Mauern, Gassen und Galerien wirkten beeindruckend. Ich freute mich auf den nächsten Tag in Santiago. Die Stadt schien ihrem Ruf gerecht zu sein.
Weitere Fotos vom Donnerstag, 04. Oktober 2018
Freitag, 05. Oktober 2018
Im Hochmittelalter mauserte sich Santiago de Compostela neben Rom und Jerusalem zu einem der bedeutendsten Pilgerziele der Christenzeit. Genau genommen ist es das Grab des Apostels Jakobus, welche die Pilger nach Wochen entbehrungsreicher Märsche durch Spaniens Norden in der Stadt aufsuchen.
Aber auch für Nichtpilger ist die Stadt mit ihrer ganz speziellen Stimmung allemal ein Besuch wert. Denn Santiago ist anders als all unsere bisher besuchten Städte auf dieser Nordspanienrundreise. Keine Hochhäuser und keine Shoppingmals, dafür eine grandiose Fülle an Baudenkmälern, von Romantik bis Gotik, von Renaissance bis Barock.
Galiziens Hauptstadt mit ihren etwa 100'000 Einwohnern hat sich rund um die besagte Kathedrale entwickelt. Zentraler Treffunkt von Besuchern und Wallfahrern aus aller Welt ist der Kathedralenvorplatz, der Plaza do Obradoiro. In der prachtvollen Kathedrale herrscht alltäglich ein unglaubliches Kommen und Gehen, ein babylonisches Sprachgewirr unter romanischen Rundbögen.
Auch wir standen in der (kurzen) Schlange vor den Toren der mächtigen Kathedrale, welche unter anderem die Grabstätte des Apostels Jakobus beinhaltet. Etwa ein Viertel der Messebesucher waren Pilger. Es wurde verkündet, dass Pilgergemeinschaften aus aller Welt heute in Compostela eingetroffen sind. Ein Szenario, dass täglich wiederkehrt.
Seit Jahren sinken auf dem nahen Monte do Gozo (Berg der Freude) Wallfahrer auf die Knie und ziehen hinunter, Pilgerlieder singend, in die sehnsüchtig erwartete Stadt. Auch wir trafen auf singende Gruppen, welche endlich in der langersehnten Stadt eintrafen.
Der Legende von St. Jakobus nach, brachte der Apostel das Christentum nach Spanien. Er war um 45 n. Chr. in Palästina als Märtyrer gestorben, aber viel später hiess es, er habe noch vor seinem Tod Spanien das Evangelium gepredigt und sein Leichnam sei auf einem von Engel geführten Schiff nach Galizien gebracht worden. Im Jahr 814 behauptete ein Eremit, ein Sternenregen (compostela = Sternenfeld) habe ihn zum Grab des Heiligen geführt, der Bischof erklärte das Wunder für echt und es wurde rasch zum Zentrum von Pilgerfahrten.
Auf der anschliessenden Sightseeingtour überkam mich oft das Gefühl, es nicht verdient zu haben hier zu sein. Sind wir doch faul mit dem Auto angefahren und schlugen uns die Bäuche mit galizischen Spezialitäten voll.
Wir zogen den ganzen Tag in der Stadt umher, welche neben dem Ziel des Jakobsweges auch der katholische Erzbischofssitz sowie Standort der Universität Santiago de Compostela ist. Santiago bleibt in allen Belangen speziell und einzigartig. Auch die Tatsache, dass wenige Autominuten entfernt nichts mehr von der Pilgermetropole zu spüren ist. Ringsum prägen einsame Dörfer, Maisfelder, Haselnusssträucher, Apfelbäume und der intensive Eukalyptusduft die Landschaft.