Diehlkante am Dent de Ruth
Sandro und ich waren bereits gestern in den Gastlosen am Klettern. Heute wollten wir uns dort einem neuen Abenteuer stellen: Die Diehlkante am Dent de Ruth.
Sonntag, 04. Dezember 2016
Advent, Advent, der Muskel brennt! So fühlte sich mein linker Unterarm in der dritten Seillänge in der Diehlkante am zweiten Advent an. Doch ich erzähle die Geschichte von Anfang an.
Sandro und ich übernachteten im sehr alten, rustikalen Hotel Le Tonnelier in Bulle. Um 07:00 Uhr – es war um diese Jahreszeit noch Stockdunkel – suchten wir eine Bäckerei, um uns mit Kaffee und Brötchen einzudecken. Danach ging es auf in Richtung Jaunpass, wo wir kurz nach Jaun südwärts Richtung Abländschen abbogen. Unser Ziel war die Diehlkante am Dent de Ruth.
Bereits vor drei Monaten war ich mit Dominik dort. Wir entschieden uns jedoch über die Route L’avenue de chamois den 2.236 m hohen Gipfel zu besteigen. Ich kannte also die Umgebung und was uns punkto Anmarsch, Gipfel und Abstieg erwartete.
Doch die so oft als alpine und ursprüngliche Route über die Diehlkante sollte noch einige Geheimnisse hüten. Auch wussten wir nicht wie die Verhältnisse in den Couloirs waren, lag doch um diese Jahreszeit schon einiges an Schnee in den Schattenseiten.
Der Aufstieg vom Parkplatz der Grubenberghütte brachten wir erwartungsgemäss schnell hinter uns. Trotz den Temperaturen unter dem Gefrierpunkt war uns heiss. Bald erreichten wir die Alp und dank der Schneedecke konnten wir den Pt. 1945 mehr oder weniger direkt ansteuern.
Der Dent de Ruth wurde bereits von der aufgehenden Sonne beschienen und der Tag erwachte in einem wolkenfreien Himmel. Uns standen 8 Sonnenstunden zur Verfügung, ehe es wieder dunkel sein würde. Das Zeitmanagement war heute wichtiger denn je.
Im Stall auf Pt. 1945 deponierten wir einen Rucksack, zogen die Klettersachen an und schritten über die Schneefelder weiter zum Einstieg. Der Nachsteiger würde jeweils den Rucksack tragen und der Vorsteiger war ausgerüstet mit Keilen, Friends und Schlingen.
Um 10:45 Uhr stieg ich schliesslich in die erste Seillänge ein. Sie markierte bereits, was uns in den nächsten acht Seillängen erwarten würde: Alpines Klettern, regelmässige Durchquerung von Grasbändern, Schlaghaken und teilweise schwierige Wegfindung durch parallel existierenden (ehemaliger) Routen. Doch zum Bergsteigen waren wir hier und das Niveau entsprach auch unserem Können. Doch für Sport- und Hallenkletterer wäre diese Tour nicht die Idealwahl.
Seillängen: 5b, 5b, 5b 2 p.a. (6a), 4b, 5b 2 p.a. (5c), 5a 2 p.a. (5c), 4b
Im Verlauf der Route folgten auch tolle Seillängen, welche im perfekten, griffigen Kalk über eine top Absicherung verfügten. Doch waren diese eben sehr situativ und nicht durchgängig. Auch brachten wir einige Seillängen mittels "point d'aide" (p.a.) hinter uns. Ansonsten müsste man die Route locker mit einer 6b (?) bewerten, dessen Grad man dann aber auch beherrschen sollte.
Um 15:15 Uhr erreichten wir das Ende der Kante und das Routenbuch, welches sich an der Abseilstelle befindet. Aufgrund er fortgeschrittenen Zeit und der Tatsache, dass im Abstiegscouloir sehr viel Schnee lag und wir auf Grund dessen nicht einschätzen konnten wie lange wir für diesen Abstieg mit Zwischensicherungen benötigten, entschieden wir uns über die eingerichtete Piste abzuseilen. Zwar konnten wir so den Gipfel nicht mitnehmen, aber immerhin die Kante hatten wir gemacht.
Mit unserer Entscheidung lagen wir richtig, denn auch die Abseilpiste war sehr abenteuerlich und zeitintensiv. Ganze neunmal (!) mussten wir mit den 60 Meter Halbseilen runterlassen. Teilweise über verschneite Couloirs und ein Bachbett mit kleinem Wasserfall.
Als wir um 17:45 Uhr schliesslich den Wanderweg erreichten war die blaue Stunde bereits angebrochen und wir durften ein sensationelles "Einnachten" in einer faszinierenden Bergkulisse erleben. Dazu gab es auch endlich was zu Essen und ein verdientes Feierabendbierchen, welches sich im Rucksack noch finden liess.
In diesen traumhaften Minuten verspürten wir weder die aufkommende, bissige Kälte noch die müden, teilweise aufgeschürften Hände. Es war ein Moment in dem sich das Schauspiel der Ablösung von Tag zu Nacht vor uns abspielte. Der klare Himmel mit den Sternen, eine dünne Mondsichel und das Orange hinter den Bergen machten diesen Augenblick perfekt.
Doch unsere heutige Reise war noch nicht zu Ende. Mit Stirnlampe und dem sehr guten Gefühl, den heutigen Tag am richtigen Ort verbracht zu haben, stiegen wir über die vereiste Schneedecke hinunter in Richtung Grubenberghütte und anschliessend weiter zum Parkplatz der Mittelberg, von wo aus wir den Heimweg antraten.