Watzmann Ostwand
Eigentlich kannte ich das Watzmann-Massiv im Berchtesgadener Land gar noch nicht so lange. Gute fünf Jahre vielleicht. Immer wieder hörte ich von „dem“ Berg Südostdeutschlands, wo Rekorde aufgestellt worden sind, der am meisten Todesopfer forderte, wo die grossen Kletterer auch schon mal waren und der malerisch im Nationalpark am Königsee lag.
Nachdem Tanja und ich im August 2008 die Überschreitung als Training für die Cotopaxibesteigung in Ecuador vollbrachten, liess mich dieser Berg nicht mehr los. Auf zahlreichen Touren in den
Berchtesgadener Alpen war es immer er, der die Blicke auf sich zog. Die Idee mit der Ostwanddurchschreitung wuchs jedoch erst im letzten Jahr, und war vor allem durch meine verbesserten
Kletterkünste realistisch geworden. In der Zwischenzeit hatte ich so viel Erfahrung und Können, um die Tour selbst zu gehen. Doch ich wollte nicht wie so viele vor mir, mich an dem Vorhaben
übernehmen. Immerhin waren 2000 Höhenmeter zu klettern, den Weg zu finden und eine top Kondition zu haben.
Zudem: wer hatte Zeit mitzukommen? Ich entschied also einen einheimischen Bergführer zu nehmen. Mit Korbinian Reiser wurde ich schliesslich fündig.
Die Watzmann-Sage:
Nach einer uralten Sage herrschte im Berchtesgadener Land ein wilder König, namens Watzmann. Höchste Lust war es ihm, die Fluren seiner Untertanen freventlich zu vernichten und deren Leben grausam hinzuschlachten. Für sein höllisches Unwesen traf ihn göttliche Strafe; er wurde samt seiner Familie zum ewigen Wahrzeichen in Stein verwandelt.
Montag, 01. August 2011
Schweizer Nationalfeiertag. Zu feiern hatte ich jedoch vorerst nichts. Mein Vorhaben stand noch an, endlich würde es auf nach St. Bartholomä gehen. Seit Tagen plante ich, rief täglich den Wetterbericht ab und studierte die Routen. Wie es schien, hatte ich wieder einmal ein glückliches Händchen mit der Datumswahl. Nach einer langen Regenperiode bei 15 Grad Celsius sollte es endlich wieder für ein paar Tage Sommer werden.
Mit Korbi traf ich mich kurz vor 17:00 Uhr an der Wimbachgriesbrücke bei Ramsau, dem Zielort nach dem Abstieg, welchen ich bereits von der Watzmannüberquerung kannte. Seine Frau brachte uns anschliessend nach Schönau, wo wir um 17:15 Uhr ins letzte Schiff nach St. Bartholomä einstiegen. Noch war St. Bartholomä in festem Griff der Tagestouristen, doch schon bald würden diese den Ort verlassen. Eine Übernachtung war nur den Bergsteigern der Ostwand vorbehalten, welche in der DAV-Hütte einen Schlafplatz fanden. Dies wurde streng kontrolliert. Als DAV-Mitglied bezahlt man für eine „Schlafplatzkarte“ gerade mal 9.- Euro! Im Restaurant neben der Kapelle assen wir noch eine Kleinigkeit und deckten uns mit Bier ein. Denn um 18:30 Uhr, wenn das letzte Boot ablegte, schloss auch dieses.
Mit der Abfahrt des letzen Schiffes kehrte Ruhe in St. Bartholomä ein. Nur 15 Bergsteiger und das Restaurantpersonal blieben im Biergarten zurück. Mit zwei Bergkameraden sassen wir anschliessend gemütlich auf einem Bänkli direkt am See, erzählten Bergsteigergeschichten und tranken das Bier. Dann ging es auf ins Schlafgemach der Hütte. Als Kunde eines Bergführers durfte ich getrennt von den individuellen Gästen in einem Separee schlafen. 16 Betten für zwei Personen! Es hatte also schon das erste Mal was Gutes, mit einem Führer unterwegs zu sein.
Dienstag, 02. August 2011
Die Nacht war kurz. Geschlafen hatte ich nicht. Zu sehr war ich aufgeregt, wie die „Grossen“ morgen in die Wand einzusteigen. Schon lange hatte ich dieses kribblige Gefühl vor einer Tour nicht mehr. Um 03:00 Uhr war es dann soweit. Korbi trat ein, das Hüttenlicht erhellte den Raum und der Wasserkocher zischte. Beim Frühstück war es ruhig. Ein Foto des Erstbegehers Johann Grill Kederbacher, welches beim Tisch an der Wand hängte, starte uns an. Er durchstieg die Wand im Jahre 1881 und gab so der Route ihren Namen( Kederbacher Weg). Heute wird dieser Weg sehr selten benutzt, zu schroff ist die Eiskapelle geworden, zudem müssen Schnee bzw. Eisfelder überquert werden, was Steigeisen und Pickel voraussetzt. 90% der Bergsteiger nehmen heute den Berchtesgadener Weg (III), die restlichen versuchen sich am Salzburger Weg (V) oder dem Münchner Weg (IV). Ich entschied mich für den Letzteren. Wenn ich schon einen Bergführer dabei hatte, wollte ich auch ein wenig anspruchsvoller Klettern.
Start um 03:45 Uhr. Den Wanderweg zur Eiskapelle brachten wir in einer halben Stunde anstelle der ausgeschriebenen 1,5 Stunden hinter uns. Das Tempo war entsprechend hoch. Es war noch stockdunkel und beängstigend still. Unsere Stirnlampen bahnten einen Weg durch die Nacht. Die Wand konnte man noch nicht erkennen. Die „Anlegestelle“, also der Ort wo man den Klettergurt anzieht und das Seil bereitmacht, erreichten wir nach einem steilen Anstieg über Grasbänder. Erst jetzt brach langsam die Morgendämmerung ein.
Die ersten paar 100 Höhenmeter gingen wir seilfrei. Meist war Blockkletterei gefragt, ab und zu mussten wir ein paar Platten traversieren. Beim grossen Schotterfeld legten wir um 05:45 Uhr die erste Pause ein. Hier konnten wir auch den Wasservorrat mit Schmelzwasser auffüllen. Nach einem kleinen Snack ging es weiter. Es folgte die Abzweigung auf den Münchner Weg; bei der Gipfelschlucht würde dieser wieder mit dem Berchtesgadener Weg zusammenkommen. Meine Entscheidung, die Route des Münchner Weges zu nehmen, erwies sich als richtige Wahl! Die folgende Kletterei war grandios und entsprach meinem Niveau. Es war also ein richtiger Genuss für mich :-)
Das Thema Steinschlag, welches man immer wieder im Zusammenhang mit der Ostwand hört, kann in der Tat nicht verleugnet werden. Zwei Seilschaften in der Münchner Route wären nicht denkbar. Es ist unmöglich auf den schmalen Grasbändern und Platten zu Gehen, ohne dass sich Steine lösen. Man muss also unbedingt mit aufmerksamen Augen und Ohren klettern. Da wir die vorderste bzw. die oberste Seilschaft waren, hatten wir das Steinschlagproblem nicht. Und wir wollten auch, dass dies so bleibt. Nach einer Rast in der Gipfelschlucht, machten wir uns sogleich auf zur Biwakschachtel, dem Ziel der nächsten Etappe.
Auf dem Bänkli des Bergführers Heinz Zembsch genannt Ostwandkönig (er hat die Wand über 300 Mal durchstiegen) war die letzte Trinkpause. Dann folgte der Schlussspurt durch einen der Gipfelkamine. Über die 4er Stelle, welche ich natürlich rotpunkt kletterte, erreichten wir schliesslich nach 6 Stunden um 09:45 Uhr die 2714 Meter hohe Watzmannsüdspitze. Über die gute Zeit freute ich mich zusätzlich. Korbi meinte, er hätte den Münchner Weg noch nie mit einem Gast in 6 Stunden geschafft. Wir legten also mit Pausen pro Stunde 350 Höhenmeter zurück.
Die Aussicht vom Watzmann war wie immer grandios. Dank dem wolkenfreien Sommerwetter konnten wir in alle Himmelsrichtungen sehen. Nach einer ausgiebigen Pause und dem Läuten der Ostwandglocke am Gipfelkreuz (nur für erfolgreiche Ostwandbegeher), nahmen wir den steilen Abstieg nach Wimbachgries unter die Füsse. Die 2000 Meter, welche wir hochgeklettert sind, mussten nun wieder runtermaschiert werden. Stöcke wären hilfreich gewesen, aber man ist ja ein Mann :-)
In sensationellen 2 Stunden erreichten wir die Wimbachgrieshütte, das eigentliche Ziel der Tour. Hier verabschiedete ich mich später von Korbi. Doch erst gab es noch ein Negermass, Nudelsuppe, Germknödel und Kaffee: Halt das, was sich Bergsteiger so wünschen.
Gemütlich nahm ich zwei Stunden später den langen Weg zur Wimbachgriesbrücke unter die Füsse. Die meisten Leute sagen, dass dies ein Weg der Qualen und ohne Ende sei. Doch meiner Meinung nach, haben diese nur Augen für den Weg und nicht für die umliegende grandiose Natur in der herrlichen Bergkulisse.
Die Watzmann-Ostwand:
Ein Ziel – ein Traum. Lasst Träume wahrwerden, es ist ein herrliches Gefühl!