Pigne de la Lé
Hochtour, Gletschererlebnis und Aktionen in den Eisspalten des Glacier de Moiry mit Emilia.
Dienstag, 16. Juli 2024
Das Val de Moiry neben dem bekannteren Val Zinal liegt nun wirklich nicht um die Ecke. Doch genau in diesen entlegensten Winkel im Süden der Schweiz zog es Emilia und mich in diesem Sommer.
Seit unserer letzten gemeinsamen Bergtour sind bereits zwei Jahre vergangen. Dazumal waren wir auf dem Gipfel des Gross Bigerhorn und Emilia hatte den ersten Kontakt mit einem Gletscher, dem Riedgletscher. Fasziniert von dem Erlebnis, wollte Emilia nochmals eine Tour auf einer Gletscherzunge unternehmen und evtl. sogar mal in eine Spalte steigen.
Die Anfahrt mit dem Auto ins Wallis war lange. Die Alternative mit den öffentlichen Verkehrsmitteln noch länger. Wir hatten jedoch keine Eile, da wir am ersten Tag nur die Hütte von Moiry erreichen mussten, deren Zustiegszeit mit 1,5 Stunden mehr als moderat war.
Wir fuhren über Bern, Fribourg und frühstückten in der Autobahnraststätte La Gruyère oberhalb des gleichnamigen Sees. Die wunderschön angelegte Raststätte, mit toller Aussicht auf die Freiburger Alpen, ist immer wieder einen Halt wert.
Weiter ging es nach Vevey, Aigle, Martigny bis Sion, wo wir südwärts auf der spektakulären Bergstrasse in das Val d‘Anniviers abbogen.
Die Fahrt hoch zum Lac de Moiry dauerte nochmals seine Zeit. Nach dem Erreichen der Staumauer kann man mit dem Auto noch bis zum südlichen Ende des Sees fahren, wo sich ein grosser Parkplatz befindet, auf welchem es auch erlaubt ist, mit dem Camper zu übernachten.
Auf der Fahrt dahin lacht einem der gewaltige Gletscher mit einer langen Zunge bereits an und lädt zu einem Fotostopp ein. Für Personenwagen ist der grosse Parkplatz gratis! Wer im Bus übernachtet, zahlt 15.- Franken, erhält dafür aber auch eine Gästekarte, in welcher die Bergbahnen des Tales inbegriffen sind.
Wir starteten unsere Wanderung um 12:45 Uhr und rasteten wenige Minuten später, um auf einem grossen Stein mit Blick auf den Gletscher eine Mittagsrast einzulegen. Der danach folgende Zustieg zur Hütte bietet alles, was eine abwechslungsreiche Bergwanderung mitbringen sollte. Tolle Aussicht, fordernde Wegpassagen über Schnee- und Schuttfelder und auch mal ein mit Seilen gesicherter Abschnitt.
Die Cabane de Moiry besteht aus einer Kombination aus Alt- und modernem Neubau, welche harmonisch verschmelzt wurden. Es ist eine Hütte für alle: Familien, Streckenwanderer und Bergsteiger. Entsprechend ist sie auch organisiert. Die breite Fensterfront, welche den Blick auf den gewaltigen, nahegelegenen Glacier de Moiry freigibt ist architektonisch einfach genial gelungen.
Die Zeit bis zum Abendessen verbrachten wir auf der Aussichtsterrasse, genossen den Blick auf den Gletscher, kämpften im Kartenspiel Ciao-Sepp und beobachteten das Geschehen der ankommenden Gäste.
Das Abendessen gab es um 18:30 Uhr. Unser Tisch war mit 10 Personen gut gefüllt. Doch es gab wie immer auf den SAC Hütten genügend für alle. Nach dem Dessert und einer weiteren Partie Ciao-Sepp, legten wir uns schon bald schlafen. Emilia fühlte sich aufgrund einer Erkältung nicht gut und würde morgen leider nicht auf den Gipfel der Pigne de la Lé mitkommen.
Ich bereitete meine Sachen für den frühen, morgigen Gipfelaufstieg vor und legte mich dann auch bald schlafen. Zu unserer Zufriedenheit hatten wir ein 4-er Zimmer, welches wir mit zwei anderen Personen teilten. Es war also eine sehr angenehme Übernachtung.
Mittwoch, 17. Juli 2024
Meine Tagwache war um 04:45 Uhr. Nach einem schnellen Frühstück verliess ich die Hütte im Schein meiner Stirnlampe. Der blau-weisse Wanderweg hoch zum Col du Pigne hatte ich am Tag zuvor erkundet.
Nun konnte ich schnell voranschreiten. Mit leichtem Gepäck bestehend aus Steigeisen, Pickel und kleiner Verpflegung kam ich in der anfänglichen Dunkelheit gut vorwärts.
Um den Passübergang zu erreichen war die Montage der Steigeisen nicht notwendig. Obwohl der Firn grösstenteils noch oberflächlich gefroren war, konnte man mit den Bergschuhen gute Tritte stampfen.
Bereits 20 Minuten später erreichte ich den Grat und es wurde langsam hell. Ich war selbst überrascht, wie schnell ich unterwegs war. Waren die Zeitangaben auf den Wanderwegtafeln wirklich richtig?
Ich stieg weiter über Geröll und Blöcke den Nord-Nordwestgrat hoch. Die Schwierigkeit lag bei WS und die Kletterei im I. max. II. Schwierigkeitsgrad. Es machte richtig Spass. Langsam erreichten mich die ersten Sonnenstrahlen. Wenig später war ich dann auch schon am Gipfel (Aufstiegszeit Hütte - Gipfel 1 Stunde).
Panorama pur! Der Ausblick vom freistehenden Pigne de la Lé auf die vielen bekannten hohen Berge war vom Feinsten: Weisshorn, Zinalrothorn, Obergabelhorn, Matterhorn, Dent Blanche, Grand Cornier, der Glacier de Moiry in voller Länge und der Ausblick auf den Glacier de Zinal, welcher sich tausend Meter tiefer unter mir befand.
Der Name Pigne de la Lé wird übrigens vom Patois abgeleitet und bedeutet die Spitze über dem See (pigne = Spitze, Anhöhe; lé = See).
Beim Abstieg kamen mir einige Berggänger entgegen, welche am Seil aufstiegen. Welche Sicherheit sie genau beabsichtigten blieb mir ein Rätsel. Mir viel allerdings auf, dass sie keinen Helm trugen. Doch genau dieser ist in diesem viel begangenen Gelände sehr zu empfehlen! Ich musste auch feststellen, dass viele Anfänger (relativ spät) unterwegs waren.
Doch das interessierte mich nicht mehr. Ich war bereits aus der «Gefahrenzone» raus und wenig später um 08:00 Uhr wieder zurück auf der Hütte, wo ich ein zweites Frühstück stipitzte. Auch Emilia war schon wach und räumte gerade unsere Sachen aus dem Zimmer.
Wir warteten noch einen Moment bis die Sonne den Gletscherkessel erreicht hatte und machten uns dann auf den Weg hinunter zum Glacier de Moiry. Bevor wir die Gletscherzunge betraten, führte ich Emilia in die Gegebenheiten des Gletschergehens ein. Klettergurt, Steigeisen, Seil, Knoten und Kommandos musste sie erst lernen.
Nach einigen Trockenübungen war es dann soweit: Wir betraten den Gletscher und machten uns auf zu einer grossen Spalte, welche wir uns bereits von der Hütte aus eingeprägt hatten. Als wir schliesslich nach einer Weile dort eintrafen, richtete ich mit zwei Eisschrauben einen fixen Stand ein. Er sollte uns für die Abseilaktionen und Sicherung der Eiskletteraktionen dienen.
Emilia setzte meine Anweisungen vorbildlich um und ich war erstaunt, wie angstlos sie mit dem Pickel in der Hand die steilen Aufschwünge meisterte. Doch dort hinunter, wo man von oben das Ende der dunklen Kluft nicht erkennen konnte, getraute sie sich dann doch nicht. Zum Glück, denn das hätte ich auch nicht zugelassen.
Nach diesen spassigen Aktionen im Eis, folgten wir dem Gletscher in südliche Richtung, bis wir ungefähr die 2600er Höhenlinie erreichten. Ein Direktaufstieg nach Westen zu Pt. 2687, wie es die Karte und der SAC-Führer vorschlagen, war zu steil. Die Flanke war extrem schuttig und instabil.
Ein wenig später erreichten wir schliesslich auf unserem Weg nach Norden den Pfad zurück zum Lac de Châteaupré und dem dahinterliegenden Parkplatz, wo unser Auto stand. In der eiskalten La Gougra, kühlten wir noch unsere, von der Wanderung, heiss gewordenen Füsse ab. Die lange Heimfahrt schmälerte unser Erlebnis keineswegs. Wir waren uns einig, dass wir im nächsten Jahr wieder ein Abenteuer zusammen unternehmen werden.