Gross Bigerhorn
Eine zweitägige, alpine Bergwanderung über den Riedgletscher und auf das 3’625 Meter hohe Bigerhorn.
Donnerstag, 11. August 2022
Endlich war es wieder einmal so weit. Nachdem Emilia und ich aufgrund des schlechten Wetters unsere Vater-Tochter-Bergtour im letzten Jahr absagen mussten, sollte es in diesem Jahr klappen.
Die Tourenplanung hatten wir bereits im Jahre 2021 abgeschlossen. Emilia wollte unbedingt einen Gletscher sehen und begehen, solange es diese noch gibt. So entstand der Plan, dem Riedgletscher im Wallis einen Besuch abzustatten. Denn über diesen führt der relativ einfach zu gehende Normalweg auf die Bordierhütte.
Der Riedgletscher ist ein Talgletscher an der Nordseite der Mischabelgruppe in den Walliser Alpen und als Wandertour bei passenden Verhältnissen ohne Gletscherausrüstung gut zu begehen. Wir waren gespannt, wie viel von dem Eis aufgrund der Klimaerwärmung noch vorhanden ist.
Um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in den Süden der Schweiz zu kommen, mussten wir früh losgehen. Tanja und Luca brachten uns im Auto nach Liestal, wo der Zug um 06:00 Uhr nach Bern losfuhr.
In Bern, Visp, St. Niklaus und Niedergrächen mussten wir jeweils umsteigen, ehe wir um 09:00 Uhr am Ausgangsort mit dem lustigen Namen Gasenried ankamen.
Seit Wochen herrschte eine stabile Wetterlage und für die nächsten zwei Tage war sonniges Sommerwetter angesagt. Wir konnten uns also auf eine Tour bei besten Verhältnissen freuen.
Bevor wir losmarschierten, gab es im Restaurant Walliserstube noch eine Cola. Dann folgten wir der Teerstrasse nach Schalbette. Hier gibt es ein Wirrwarr von Forststrassen und Suonen, welche zum Pt 1910 führen.
Ab hier führte der wunderschöne Wanderweg durch lichten Lärchenwald. Die Kieferbäume präsentierten sich in einem grellen grün, welches auf dem knallblauen Himmel irgendwie surreal, jedoch wunderschön wirkte.
Bei Pt 2029 überquerten wir den Riedbach und machten eine erste Pause. Eilig hatten wir es nicht. Die Hütte war reserviert und Abendessen gab es erst um 18:30 Uhr.
Vorbei an der malerischen Alp Alpja, schritten wir langsam der mächtigen Gletschermoräne entgegen. Als wir schliesslich an der Abbruchkante standen, und unsere Blicke in die riesige leere Schneise des ehemals mächtigen Riedgletschers schweiften, lief es einem trotz dem sommerlichen Wetter ein wenig kalt den Rücken runter. War das eine riesige leere "Badewanne" geworden!
Das Fassungsvermögen an Eis bzw. des ehemaligen Wasserspeichers ist unvorstellbar. Nun ist jedoch alles weg! Nur noch eine dünne – und vermutlich "abgebrochene" – Gletscherzunge mit Sand und Steinen bedeckt, reicht bis hinunter zur Mulde auf ca. 2'000 Höhenmeter.
Unser Weg folgte entlang der Gletschermoräne, ehe dieser uns schliesslich in steilem Zickzack hoch zu Pt 2706 führte. Immer wieder suchten wir einen schattigen Platz, um eine Mittagspause zu machen. Jedoch waren Schattenspender in dieser gerölligen Gegend spärlich vorhanden. Oftmals waren die Schattenplätzchen durch die Schwarznasenschafe, welche sich ebenfalls vor der Hitze verkrochen, besetzt oder durch diese verunreinigt.
Doch schliesslich fanden wir einen schattigen Ort, ehe wir die Wanderwegabzweigung in Richtung Bordierhütte über den Gletscher erreichten. Auch hier war es wiederum eindrücklich, dass der Gletscherrand sich noch vor wenigen Jahrzehnten hier bei Pt 2706 befand.
Bevor wir nun im Jahr 2022 das Eis erreichten, mussten wir nochmals 15 Minuten über ein wildes Geröllfeld laufen. Metallstangen und Steinmännchen wiesen uns den Weg durch das Wirwarr. Hier war alles noch in Bewegung und jeden Frühling muss der Weg neu definiert werden.
Endlich standen wir auf dem Eis und vor dem immer noch sehr mächtigen Riedgletscher, der vor uns über eine Steilstufe hinunterhängte. Doch auch hier gab es bereits einige Stellen, an denen der glatt geschliffene Fels hervorkam. Zudem konnten wir zweimal beobachten, wie es vor uns zu einem Gletscherabbruch kam. Bei dem diesjährigen, andauernd heissen Sommer ist alles in Bewegung.
Ebenfalls an den umliegenden Felswänden fielen immer wieder Steine hinunter. Der Permafrost, welcher hier vieles zusammenhängt, taut langsam auf und die Felsmassen fallen regelrecht auseinander. Bestimmt wird es in einigen Jahren hier anders als heute aussehen.
Der Aufstieg zur Bordierhütte hinter der Überquerung der Gletscherzunge ist abenteuerlich und sehr abwechslungsreich. Die blau-weisse Markierung ist hier genau die richtige Bewertung. Fixseile, Treppen, Brücken und der Einsatz der Hände: Endlich alpines Vergnügen.
Bereits um 15:00 Uhr kamen wir auf der Hütte an. Dort gab es hausgemachten Apfelkuchen und leckeren Sirup, welchen wir auf der Sonnenterasse genossen. Wir waren nicht lange allein. Damit meine ich nicht nur, dass andere Tourengeher ebenfalls die Hütte erreichten, sondern dass wir Besuch von zweihörnigen Bergkammeraden erhielten.
Die Steinböcke kamen bis zur Hütte, um das Salz auf den Steinen zu lecken. Vermutlich wird dies von der Hüttenwartin ausgestreut, um die Vierbeiner anzulocken.
Auch nach dem Abendessen sassen wir noch lange draussen. Der Blick von der Hütte nach Westen lässt einem den Sonnenuntergang wunderbar beobachten. Wir hatten perfekte Wetterverhältnisse erwischt; das Verschieben der Tour um ein Jahr hatte sich gelohnt!
Freitag, 12. August 2022
Auf der Bordierhütte gab es um 02:00, um 04:00 und um 07:00 Uhr Frühstück. Wir hatten uns für das Mittlere angemeldet. Als ich Emilia um 03:45 Uhr weckte, herrschten draussen immer noch angenehme milde Temperaturen.
Der Gang auf die Toilette hielt schon die erste Überraschung bereit! Es war Vollmond. Prächtig rund und hell stand er am Himmel. Mit dieser angenehmen Beleuchtung hatten wir nicht gerechnet.
Um 04:40 Uhr starteten wir los. Ziel war das Grosse Bigerhorn mit seinen stolzen 3’625 Metern Höhe. Ich wollte, dass Emilia einmal ein solch abenteuerliches Ereignis erleben kann. Denn wer hat schon die Möglichkeit, einen Sonnenaufgang auf einer solchen Höhe mit einem grandiosen Ausblick auf die Umliegenden 4'000er zu erleben? In ein paar Jahren würde ich Sie vermutlich nicht mehr dafür begeistern können. Daher war genau jetzt der richtige Zeitpunkt.
Doch die 739 Höhenmeter mussten wir erst noch hinter uns bringen. Obwohl der teilweise sehr steile Pfad hinauf zum Pt 3148 und anschliessend über den Bergrücken hoch bis zum Gipfel sehr gut markiert ist, ist die Begehung nicht immer einfach.
Gemäss SAC liegen die Schwierigkeiten bei T5-, was ich bestätigen kann. Da gab es selbstverständlich auch einiges an Gejammer und Kritik. Der Blick auf die vom Vollmond beleuchtete Gletscherszenerie verlangte Emilia aber auch einiges an Faszination ab. Immer wieder hielten wir an und schossen ein Foto.
Dies erst recht, als die Sonne die Spitzen des Dirru-, Nadel- und Ulrichshorn sowie das weiter entfernte Weisshorn begrüsste. So wechselte sich die Sonne mit dem Mond ab, der im Westen allmählich verschwand.
Nach 2 Stunden und fünf Minuten erreichten wir schliesslich den Gipfel. Wir zogen alle Kleider an, die wir dabeihatten. Hinter einem Felsabsatz fanden wir ein windstilles Plätzchen in der Sonne. Doch zu lange hielten wir es trotzdem nicht aus. Bald setzen wir den Abstieg an und kehrten in 1.5 Stunden zurück zur Hütte.
Hier gab es eine heisse Schokolade, ehe wir den Rucksack packten und bereits kurz nach 09:00 Uhr den weiteren Abstieg hinunter ins Tal fortsetzten. Gerne wären wir nochmals ins Schlaflager gegangen, um uns auszuruhen, dieses wurde jedoch bereits für die neuen Gäste vorbereitet.
Wir verbrachten beim Abstieg einige Zeit auf dem Gletscher. Es war faszinierend über das Eis zu schreiten, dessen nasse Oberfläche in der vergangenen Nacht wieder gefror und nun abermals in der Sonne auftaute.
An der Abbruchkante der Moräne machten wir, wie beim Aufstieg, eine Pause und genossen das weitläufige Bergpanorama. Dann stiegen wir zum Riedbach bei Pt 2029 hinunter. Hier war abermals eine Pause angesagt und wir kühlten unsere heissen, schmerzenden Füsse, welche heute bereits 2'335 Höhenmeter vollbracht hatten, ab.
Bis wir am späteren Nachmittag in Gasenried ankamen, hatten wir seit Tourenstart 3'930 Höhenmeter absolviert. Eine beachtliche Zahl für die 12-jährige Emilia, welche nicht regelmässig in die Berge geht.
Bei Rösti, Salat und zwei grossen Portionen Meringue tankten wir unsere Energie wieder auf. Dann war Warten auf den Bus angesagt. Wie tote Fliegen sassen wir herum und dösten vor uns hin. Leider fuhr zwischen 12:45 und 16:27 Uhr kein Bus. So sassen wir die Zeit ab und genossen den sommerlichen Nachmittag.