Brünberg Ostgrat

Eine einsame und höllisch lange Bergtour vom Grimsel Hospitz über den Ostgrat des Brünbergs und über den Dôme d' Eldorado zurück. Eine 16-stündige Bergtour, mit der Suche nach drei Nadeln, dem Corona-Virus im Körper und einigen Verhauern in der Routenwahl.

Die Alpendudes auf dem Ostgrad des Brünbergs. Der Westgipfel befindet sich gleich über dem Helm von Dominik.
Die Alpendudes auf dem Ostgrad des Brünbergs. Der Westgipfel befindet sich gleich über dem Helm von Dominik.

Freitag, 10. Juni 2022

Ursprünglich hatten wir uns an diesem Wochenende zwei Touren im Grimselgebiet vorgenommen. Am Samstag den Ostgrat des Brünbergs und am Sonntag sollte es als leichte Alpinwanderung auf das Gärstenhorn gehen. Doch es würde anders kommen.

Als Ausgangsort der Touren hatten wir in der Alpenlodge Grimsel ein kleines Zimmer gemietet. Die Betonung auf klein soll keine Anspielung auf die Qualität und das gute Preisleistungsverhältnis des Hotels sein. Nein, die Gastgeber waren sehr nett und hilfsbereit. Doch waren wohl die Menschen dazumal kleiner als heute.

Brünberg-Ostgrat mit seinen beiden Gipfeln. Links das Finsteraarhorn in der Morgensonne.
Brünberg-Ostgrat mit seinen beiden Gipfeln. Links das Finsteraarhorn in der Morgensonne.

Wir hatten mächtig viel Bergsteigermaterial dabei, da uns im vornherein die Schneesituation nicht ganz klar war und wir auch noch sämtliche Sportklettersachen mitnahmen. So wurde es in unserem Zimmerchen ganz schön eng.

Samstag, 11. Juni 2022

Tagewache war um 05:00 Uhr. Das Frühstück hatten wir selbst mitgenommen. Im Hintergrund rauschte der Wasserkocher, am Boden standen Honig und Konfitüre. Schweigend wurden die Brote gestrichen und die Rucksäcke gepackt.

Als wir nach Aussen traten, bot sich uns ein herrlicher Blick über den Totesee auf das Finsteraarhorn, welches bereits im orangenen Sonnenlicht stand. Mit dem Auto fuhren wir bis unter die grosse Grimselstaumauer auf 1'780 Meter und parkierten dort das Auto. Aufgrund der Baustelle zur Staumauererhöhung ist der Wanderweg über die Staumauer gesperrt. Dies gab uns gleich nochmals 140 Höhenmeter extra – und dies auch noch in Treppenform.

Grimselsee, Finsteraarhorn und Brünberg mit Juchlibach.
Grimselsee, Finsteraarhorn und Brünberg mit Juchlibach.

Endlich auf dem Wanderweg entlang dem Grimselsee in Richtung Lauteraarhütte, genossen wir den Anblick der aufgehenden Sonne um die hohen Berge um uns herum. Unser erster Fixpunkt war der Juchlibach, welchen wir in 50 Minuten erreichten (östlich Pt. 1940). Dieser Bach entstand unter anderem durch einen Verbindungsstollen zum Bächlisee, welcher sich auf der anderen Seite des Juchlistocks im Bächlital befindet.

Von hier ging es auf weglosem Gelände, westlich des Juchlibaches hoch in Richtung Obrist Juchli. Auf ca. 2'300 Meter bietet sich für den Aufstieg eine grasige Rampe und ein Flussbett an. Darüber kann das westlich gelegene Plateau (Pt. 2513) einfach erreicht werden.

Die Grimselseestaumauer wird erhöht.
Die Grimselseestaumauer wird erhöht.
Der Wanderweg führt durch einen Bergstollen.
Der Wanderweg führt durch einen Bergstollen.

Fortan steht und geht man südlich unter dem eindrücklichen, wilden Brüngrat, welcher östlich beim Gipfel des Juchlistocks beginnt und westlich am Horizont kein Ende findet. Die Felsplatten und -türme sind eindrucksvoll und fordern gebührenden Respekt.

Hier rauf verirren sich nur sehr wenige Menschen. Entsprechend gibt es absolut keine Wegmarkierungen oder andere Dinge, welche auf die doch so nahe Zivilisation hinweisen. Nur das Heulen der Töffmotoren der zweirädrigen Motorradhelden auf der fernabliegenden Grimselpasstrasse sind ab und zu zu hören. 

Aufstieg in Richtung Obrist Juchli
Aufstieg in Richtung Obrist Juchli

Wir setzten die Tour über Geröllfelder mit grossen Felsbrocken weiter nach Westen fort. Dabei passierten wir das kleine Seelein bei Pt. 2527 nordseitig und bekamen zu unserer Freude auch Gämsen, Murmeltiere und sogar einen Hasen zu sehen. Die Welt ist hier noch in Ordnung.

Nun ging es steil den Grat hinauf. Mit dem Pickel über ein Restschneefeld und schliesslich über einen steilen Grashang erreichten wir mühelos den (offensichtlichen) Grateinstieg westlich Pt. 2759.

Austritt des Wasserverbindungsstollens vom Bächlisee.
Austritt des Wasserverbindungsstollens vom Bächlisee.

Schon beim Erreichen des Grates war ich ausser Puste. Irgendwie hatte ich heute nicht die Kondition, welche ich sonst immer habe. Aber dies störte mich zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Wir waren in der Zeit, das Wetter war optimal und der vor uns liegende Grat wunderschön.

Am Anfang hielten wir uns nördlich des Grates und passierten die Gendarmen über Restschneefelder und teilweise losem Geröll. Bald seilten wir uns an und schritten abwechselnd vor oder gingen am laufenden Seil.

Eindrücklich: Die Flanke des Brünberg-Grats
Eindrücklich: Die Flanke des Brünberg-Grats

Dass der Felsen nicht überall solid ist, mussten wir einige Male feststellen. Beim Nachstieg von Dominik, brach sogar mal ein ganzer Felsriegel aus. Glücklicherweise waren wir am Seil. Im späteren Verlauf der Route, wurde die Felsqualität erheblich besser.

Während der ganzen Kletterpassage hatten wir das Problem, dass wir nicht genau wussten, wo wir eigentlich waren. Die Literatur (das Wenige was es gibt), spricht immer von sogenannten «drei grauen Felsnadeln» als Fixpunkt. Doch wir konnten diese einfach nicht ausmachen. Dass wir diese südlich umgehen mussten, war uns klar. Doch wo waren sie denn?

Im Verlaufe der Zeit hatten wir uns etliche Male verklettert und mussten wieder absteigen oder abseilen, um ein Hindernis zu umgehen. Dies kostete viel Zeit und vor allem Kraft. Leistung und Speed sind signifikante Voraussetzung für so ein Vorhaben und wir mussten realisieren, dass wir nicht mehr im Zeitplan waren.

Doch ein letztes Mal wollte ich es noch wissen und kletterte vom südlich gelegenen Felsband hoch zum Grat. Etwa 250 Meter trennten uns noch vom Ostgipfel des Brünbergs. Eigentlich machbar, aber nicht über den Grat, sondern über das südliche Felsband unter dem Gipfelplateau entlang und dann nach Nordwesten aufsteigend.

Im Hintergrund ist die lange Kletterpassage des Brünberg-Grates gut ersichtlich.
Im Hintergrund ist die lange Kletterpassage des Brünberg-Grates gut ersichtlich.

Doch erst kletterte ich wieder alles hinunter, um mit Dominik die Lagebesprechung durchzuführen. Die Zeit war fortgeschritten und unsere Kraft schon ziemlich verbraucht. Doch der Hauptgrund, nicht weiterzugehen war, dass es vom Ostgipfel keine uns bekannte Abstiegsvariante gab. Was bedeutete, wir mussten auch den Verbindungsgrat zum Ostgipfel bewerkstelligen (war ursprünglich auch so geplant). Doch diesen Schlenker in diesem anspruchsvollen Gelände wäre nochmals sehr zeit- und kraftraubend.

Nordseitig kam der Pickel zum Einsatz.
Nordseitig kam der Pickel zum Einsatz.
Auf dem Grat mit Sicht auf den Ostgipfel.
Auf dem Grat mit Sicht auf den Ostgipfel.

Wir entschieden abzusteigen, was definitiv die richtige Entscheidung war. Denn nur kurz später spürte ich, wie mir die Kraft nur so aus dem Körper floss. Die einfachsten Kletterstellen wurden zur Herausforderung. 

Unser Plan war, so schnell wie möglich auf die Hochebene Brün abzusteigen. Wir versuchten dies an zwei Stellen durch Abseilen, mussten jedoch immer wieder feststellen, dass unser 60m Seil zu kurz ist, um ganz hinunterzugelangen. So blieb uns nichts anderes übrig, als die Hälfte des Brüngrats wieder zurück zu klettern, um an eine Ausstiegsrampe zu gelangen.

Ein richtig wilder Grat wie man sehen kann :)
Ein richtig wilder Grat wie man sehen kann :)

Was beim Aufstieg ein Spassfaktor war, war nun eine anstrengende Tortur, die nochmals viel an Konzentration erforderte. Endlich erreichten wir die Rampe, wo wir über Gras- und Schrofenhänge und teilweise über Restschneefelder in Richtung Jeitziners Tätsch hinunterstiegen.

Beim Blick zurück zum Grat konnte ich die beschriebenen drei markanten grauen Felsnadeln immer noch nicht erkennen. Wir fühlten uns nun in "Sicherheit" und verpflegten uns erst einmal mit Wurst, Brot und Wasser. 


Anstatt auf der Aufstiegsroute entlang in Richtung Obrist Juchli abzusteigen, entschieden wir die original geplante Route über den Dôme d' Eldorado, Bärenritz, Mederlouwenen abzusteigen. Wir erhofften uns davon, dass der Fussabstieg der legendären Kletterrouten Motörhead, Septumania und co. ein schnelleres Vorwärtskommen zuliess und wir dank dieser Rundtour auch noch mehr Erleben und sehen würden.

Olli beim Rückzug über den Grat.
Olli beim Rückzug über den Grat.

Das mit dem "mehr Erleben" wurde uns zugetragen. Denn, abgelenkt von der wunderschönen Landschaft, stiegen wir fälschlicherweise westlich Pt. 2515 einem kleinen Bächlein entlang in einer Rinne hinunter. Erst nach 200 Höhenmetern realisierten wir, dass wir so nicht zum Ausstieg der Kletterrouten gelangen würden.

Also stiegen wir alles wieder hoch, suchten auf dem Plateau Dôme d' Eldorado den Ausstieg der Kletterrouten. Nach einigem Suchen wurden wir endlich fündig. Steinmännli oder ähnliches als Markierung findet man hier oben vergeblich!

Erleichtert, nun auf einem markierten Weg unterwegs zu sein, stiegen wir dem schmalen Pfad hinunter in Richtung Mederlouwenen (Abstieg = 1h). Das Gelände erforderte jedoch ein weiteres Mal unsere volle Aufmerksamkeit. T5 Gelände und Abseilen war angesagt. Auch der anschliessende Pfad weiter bis auf den ausgeschilderten Wanderweg hatte so einige Überraschungen für uns bereit.

So durften wir nasse Felsen runterklettern, im Sumpfgelände bis zu den Schienbeinen einsinken und uns durchs hohe Dickicht schlagen. Als wir endlich den offiziellen Lauteraarhüttenweg erreichten war es bereits 20:30 Uhr.

Wo dieses liebe Plätzchen ist wird nicht verraten ;-)
Wo dieses liebe Plätzchen ist wird nicht verraten ;-)

Von hier bis zum Auto unterhalb der Grimselstaumauer waren es nochmals gute fünf Kilometer zu gehen. Dies im "Altiplano-Style" mit 300 Höhenmetern hoch und 500 Höhenmetern runter. Meine Füsse und Beine schmerzten zwischenzeitlich und wie im Delirium schritt ich schwankend daher. Abwechslung bot uns der schöne Sonnenuntergang und der aufgehende Vollmond in dieser eindrücklichen Berglandschaft.

Doch spätestens bei der Grimselstauseemauer, als ich die Stirnlampe montieren und ich die unzähligen Stufen heruntersteigen musste, interessierten mich nur noch zwei Dinge: das Auto zu erreichen und das Cola im Kofferraum zu trinken.

Blick auf das Seeende beim Abstieg vom Dôme d' Eldorado.
Blick auf das Seeende beim Abstieg vom Dôme d' Eldorado.

Nach 16 Stunden und 2'000 Höhenmeter rauf und runter, 1'000 Metern Gratklettern, sind wir um 22:00 Uhr wieder beim Auto angekommen. Unsere Gastgeberin, die wir über unsere verspätete Ankunft informiert hatten, war so freundlich und hatte uns Sandwiches im Hotel bereitgestellt. Nach dem kleinen Abendessen, einem Tourenbier und ganz viel Wasser (wir waren komplett ausgetrocknet), war dann nach einer wohltuenden Dusche Nachtruhe. Mit so einem langen Tag hatten wir vorab nicht gerechnet.

Sonntag, 12. Juni 2022

Nach der gestrigen langen Tour schliefen wir erst einmal aus. An die ursprünglich geplante Wanderung auf das Gärstenhorn war nicht zu denken, wie auch nicht ans Sportklettern. Ich fühlte mich gar nicht gut. Nicht nur körperlich in den Beinen und Armen, sondern auch im Kopf. Die Nase lief, die Ohren waren fast taub und der Husten setzte immer mehr ein.

Nach 16 Stunden zurück beim Auto!
Nach 16 Stunden zurück beim Auto!

Ein Corona-Test zeigte Tags drauf, dass ich positiv war. Daher kam die fehlende Leistung des Körpers auf der Tour. Zurückblickend war es wirklich imposant, wie der Körper auf die Infektion reagierte. Ich hatte weniger Muskelkraft und enorm Mühe zu schnaufen. Entsprechend raste der Puls bei jeder längeren Anstrengung immer hoch. Es fühlte sich so an, als hätte die Tour auf über 3'500 Meter stattgefunden. Evtl. kann die Tour als Höhentraining abgehakt werden?

Weitere Fotos